5 Fragen an Francine Vanolst

1. Sie bezeichnen den Plan d’études oft als Wirbelsäule der Schule. Könnten Sie uns diesen Vergleich näher erläutern?

Im Plan d’études werden die grundlegenden Ziele und die Progression der Kompetenzen in den einzelnen Entwicklungs- und Lernbereichen der Grundschule aufgeführt. Es wird festgelegt, welche Kompetenzsockel Schülerinnen und Schüler bis zum Ende ihrer Grundschulzeit erreicht haben sollen, damit sie bestmöglich auf den Sekundarunterricht vorbereitet sind. In diesem Sinne ist der Plan d’études das wichtigste Dokument, das die Lehrerinnen und Lehrer in ihrer täglichen Arbeit unterstützt. 

Der neue Plan d’études wird auch als digitale Plattform verfügbar sein, was erlauben wird, dem Grundschulpersonal viele weiterführende Informationen bereitzustellen. Der Plan d‘études wird in Zukunft seiner unterstützenden Rolle noch besser gerecht werden können.

2. Der aktuelle Lehrplan ist 2011 in Kraft getreten. Warum muss dieser überarbeitet werden?

Der jetzige Plan d‘études brachte viele Neuerungen mit sich. 2009 wurde der kompetenzorientierte Unterricht eingeführt. Des Weiteren wurden Grundschulzyklen eingeführt, was das klassenübergreifende Unterrichten ermöglicht hat. Für jeden Grundschulzyklus und für alle Lernbereiche wurden Sockel (Mindeststandards) definiert, welche die Schülerinnen und Schüler erreichen sollen. Es wurde verdeutlicht, dass im Laufe eines Grundschulzyklus die formative Evaluation im Vordergrund steht und erst am Ende des jeweiligen Grundschulzyklus eine zertifikative Evaluation vorgenommen wird. Braucht das Kind etwas länger, um die verschiedenen Sockel zu erreichen, kann die Verlängerung des Zyklus um ein Jahr eine Option sein.

Vor 2011 und bis heute hat sich die Schule kontinuierlich weiterentwickelt. So wurde u. a. im Jahr 2017 das Fach „Vie et société“ eingeführt. Ab 2017 wurde auch ein verstärkter Fokus auf die mehrsprachliche Frühförderung im ersten Grundschulzyklus gelegt. „Computational Thinking“ wurde in den letzten Jahren ein zusätzlicher Bestandteil des Lehrplanes. 

Die Einführung neuer Lehrmaterialien hat den Unterricht in der Grundschule zusätzlich verändert. Ab 2020 war es an der Zeit, auf diese Veränderungen zurückzublicken und im Rahmen eines größeren Konsultationsprozesses Rückmeldungen der Lehrerschaft zu ihren Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Plan d’études zu erfragen und die Überlegungen der Direktionen, Programmkommissionen und weiteren Bildungspartnern einzuholen.

3. Inwiefern wird der neue Lehrplan die Grundschule verändern?

Der Plan d’études wird die Grundschule nicht grundlegend verändern. Er hat das Ziel, die Lehrenden in ihrer tagtäglichen Arbeit zu unterstützen und zu entlasten, indem die Lernziele klar und kohärent formuliert werden.

Dadurch kann die Kommunikation sowohl unter dem Lehrpersonal als auch mit den Kindern und Eltern vereinfacht werden: Die Bildungsziele sollen so beschrieben werden, dass für alle klar und verständlich ist, was in der Schule gelernt wird, wie es vermittelt wird und warum es wichtig ist.

Schlussendlich werden die Schülerinnen und Schüler stärker in ihren eigenen Lernprozess eingebunden. Dies bedeutet auch, dass der Plan d’études nicht überladen oder zu komplex sein darf. Denn nur so kann Raum entstehen, um Partizipation im eigenen Lernprozess zu fördern. Der einzelne Lernende soll dann auch die Möglichkeit erhalten, die Themen, die ihn interessieren, zu vertiefen.

4. Im Konsultationsprozess sind viele Themen und Vorstellungen besprochen worden. Auf welche großen Herausforderungen muss der neue Plan d’études eine Antwort liefern?

Die Analyse der Aussagen, die während des Konsultationsprozesses gemacht wurden, hat gezeigt, dass die Vorstellungen der verschiedenen Partner sich nicht grundlegend voneinander unterscheiden: Die Kinder möchten mehr spielerische Lernmethoden und handlungsorientierter lernen. Der Sprachenunterricht wurde von vielen Kindern angesprochen und sie haben sich mehr Differenzierung gewünscht. Und die Erwachsenen haben ähnliche Anliegen formuliert.

Ein zentrales Thema im Konsultationsprozess waren sicherlich die Sprachenanforderungen der Luxemburger Schule. Über 170 Nationalitäten leben in Luxemburg und nur noch ein Drittel der Kinder redet Luxemburgisch zuhause. Es bestand Konsens darüber, dass die luxemburgische Sprache als Integrationssprache gefördert werden sollte. Die Dreisprachigkeit wird als klarer Vorteil des luxemburgischen Bildungssystems gesehen. Allerdings darf sie nicht zu Bildungsungerechtigkeit führen, indem Kinder benachteiligt werden, die zu Hause kein Luxemburgisch reden. Das Projekt „Zesumme wuessen“, das eine Alphabetisierung auf Französisch als Pilotprojekt testet, ist ein Ansatz, wie man Mehrsprachigkeit fördern und gleichzeitig mehr Kindern die gleichen Startchancen geben kann.

Die Digitalisierung der Schule ist eine große Herausforderung. Dies bedeutet nicht, dass alle Kinder an ihren Tablets via Apps neue Lerninhalte vermittelt bekommen. Es bedeutet eher, dass die Kinder die Kompetenzen erlernen, die sie brauchen, um in der digitalen Welt zurechtzukommen und diese aktiv mitzugestalten. Deshalb müssen Kinder schon sehr früh lernen, in der Informationsflut, in der wir leben, das Richtige vom Falschen zu unterscheiden und sich kritisch mit Informationen auseinanderzusetzen. Hier wurden schon wichtige Weichen gelegt: Vor ein paar Jahren wurde der Medienkompetenzrahmen ausgearbeitet, wo Themen wie KI oder Algorithmen behandelt werden. Dieser bietet schon eine gute Grundlage für die Lerninhalte des neuen Plan d’études.

5. Was kann der Plan d’études nicht ändern?

Die Schule hat nicht auf einen neuen Plan d’études gewartet, um sich an die Welt und die Gesellschaft anzupassen. Daher braucht die Grundschule nicht von Grund auf verändert zu werden.

Der Plan d’études hat sicherlich auch seine Grenzen. Ein Thema, das oft im Konsultationsprozess von Kindern, Eltern und den Lehrpersonen aufgeworfen wurde, ist das des Wohlbefindens. Doch der Lehrplan allein kann das Wohlbefinden in den Schulen nicht verbessern, da es von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst wird. Allerdings kann der Plan d‘études den Lernenden die nötigen Kompetenzen, wie z. B. Selbstwirksamkeit vermitteln, die ihnen zeigen, wie sie auch selbst eine Rolle in ihrem eigenen Wohlbefinden und in dem ihrer Mitmenschen spielen.

In dem Sinne kann der Plan d’études nicht alles verändern. Aber er bietet der Lehrerschaft eine gute Unterstützung dabei, neue Ideen zu entwickeln, die die Kinder auf die Welt von morgen vorbereiten können.